Augenblicksversagen

Sebastian Hermesdorf
30.06.2020

Ordnungswidrigkeit aus leichter Fahrlässigkeit

Es gibt eine breite Auswahl an verkehrswidrigen Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die mit der Verhängung eines Fahrverbotes geahndet werden können. Hierzu zählen etwa klassischerweise ein entsprechend deutlicher Geschwindigkeitsverstoß oder auch ein qualifizierter Rotlichtverstoß, bei dem eine rote Ampel überfahren wurde, die schon länger als eine Sekunde rot war.


Hat also ein Verkehrsteilnehmer eine dieser sogenannten Katalogtaten verwirklicht, liegt regelmäßig eine objektiv und subjektiv grobe Pflichtverletzung vor, die die Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigt. Ein Fahrverbot kommt in diesen Fällen allerdings ausnahmsweise nicht in Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit lediglich auf leichter Fahrlässigkeit beruht. Dies ist in Fällen des sogenannten Augenblicksversagens anzunehmen.


Dieser Blog beschäftigt sich ausführlicher mit den Voraussetzungen des Augenblicksversagens und warum in diesen Fällen gerade kein Fahrverbot zu verhängen ist.


Ein Augenblicksversagen ist gegeben, wenn der dem Betroffenen zur Last gelegte Verkehrsverstoß nicht auf grober Pflichtwidrigkeit, sondern nur auf einfacher Fahrlässigkeit beruht. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied etwa in einem Urteil aus dem Jahre 1997, dass von einem Augenblicksversagen auszugehen ist, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein Verkehrszeichen, das eine Höchstgeschwindigkeit festsetzte, übersehen hat und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste.


Hierbei ist insbesondere die Funktion des Fahrverbotes zu berücksichtigen, das in erster Linie als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme mit erzieherischer Funktion gedacht ist. Wenn es aber subjektiv an einer besonders verantwortungslosen Verhaltensweise des Betroffenen fehlt, ist das Fahrverbot zur besonderen Einwirkung auf den Betroffenen nicht erforderlich.


Entscheidend für das Vorliegen eines Augenblicksversagen bei Übersehen eines Verkehrsschildes ist, dass das Übersehen auf leichter Fahrlässigkeit bzw. Nachlässigkeit beruht. Das ist nach ständiger Rechtsprechung naturgemäß nicht gegeben, wenn sich der Betroffene bückt, um einen herabgefallenen Gegenstand aufzuheben oder wenn er während des Fahrens telefoniert und deshalb unaufmerksam ist.


Grundsätzlich dürfen Bußgeldstelle und Gericht nach Rechtsprechung des BGH grundsätzlich davon ausgehen, dass Verkehrszeichen im allgemeinen von den Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden. Es muss also nicht von Amts wegen geprüft werden, ob der Betroffene das Verkehrszeichen ggf. nur übersehen hat, sondern nur, wenn der Betroffene gegenüber der Bußgeldstelle bzw. dem Gericht sagt, dass ein Fall des Augenblicksversagens vorliegt bzw. den Sachverhalt aus seiner Sicht entsprechend schildert, dass die äußeren Umstände auf das Vorliegen eines Augenblicksversagen schließen lassen.


Wenn eine entsprechende Einlassung des Betroffenen vorliegt, muss geprüft werden, ob tatsächlich die Voraussetzungen eines Augenblicksversagens vorliegen. Das erscheint etwa unwahrscheinlich, wenn es sich um eine Strecke handelt, die der Betroffene häufig fährt, so dass ihm eine Geschwindigkeitsüberschreitung deshalb an sich bekannt sein müsste.


Liegt ein Augenblicksversagen zwar nahe, dann kann es sich aber dennoch um eine subjektiv grobe Pflichtwidrigkeit handeln, wenn z.B. das Übersehen des Verkehrsschildes selbst auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht. Falls jedoch tatsächlich ein Augenblicksversagen vorliegt, darf das Gericht kein Fahrverbot aussprechen.

 

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