Der Anscheinsbeweis

Sebastian Hermesdorf
07.08.2020

Hilfe bei der Beweisführung

Wenn es zu einem Verkehrsunfall gekommen ist, stellt sich die Frage, wer für den eingetretenen Schaden verantwortlich ist. Entscheidend für die Frage, in welcher Höhe die jeweiligen Schäden von wem zu regulieren sind, ist das jeweilige Verschulden der Unfallbeteiligten. Hierbei hat jeder Verkehrsteilnehmer das Verschulden des Anderen zu beweisen.

Wenn nun beide Unfallbeteiligten - was in der Praxis regelmäßig vorkommt - den Unfallhergang gänzlich unterschiedlich schildern, kann diese Beweisführung eine hohe Hürde sein. Wie kann man etwa beweisen, dass der Unfallgegner über eine rote Ampel gefahren ist und nicht man selbst?

In bestimmten Fällen kann einem Beteiligten der sogenannte Anscheinsbeweis zu Hilfe kommen. Was der Anscheinsbeweis und ist und wann er wem helfen kann, erläutert dieser Blog.

Bei typischen Geschehensabläufen kann nach der Erfahrung von einem bestimmten Ereignis auf eine bestimmte Folge geschlossen werden. Ebenso kann nach dem Anscheinsbeweis auch von einem bestimmten Ergebnis auf einen bestimmten, ihm zugrunde liegenden Ablauf geschlossen werden.

Ein Anscheinsbeweis ist von der Rechtsprechung in zahlreichen Konstellationen anerkannt worden. Als klassisches Beispiel gilt der Auffahrunfall. Hier sind mehrere Unfallursachen möglich, die alle den Rückschluss auf das Verschulden des Auffahrenden erlauben. So kann der Verkehrsunfall etwa dadurch verursacht worden sein, dass der Auffahrende keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vorausfahrenden eingehalten hat. Gemäß § 4 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) ist jeder verpflichtet, einen so großen Abstand zum Vorausfahrenden einzuhalten, dass auch dann noch rechtzeitig gebremst werden kann, wenn der Vorausfahrende plötzlich bremst. Alternativ kann der Auffahrunfall auch dadurch verursacht worden sein, dass der Auffahrende eine nicht angepasste Geschwindigkeit gewählt hat und hierdurch gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen hat oder aber allgemein unaufmerksam war, was wiederum einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO darstellen würde.

Nach allen drei in Frage kommenden Varianten wäre der Verkehrsunfall durch den Auffahrenden schuldhaft verursacht worden.

Diesen Anscheinsbeweis könnte der Auffahrende nur dann entkräften, wenn er seinerseits einen Beweis führen kann, dass ihn keine Schuld am Verkehrsunfall trifft, weil das vorausfahrende Fahrzeug etwa unmittelbar vor dem Unfall die Fahrspur gewechselt oder grundlos gebremst hat.

Zur Anwendung kommt der Anscheinsbeweis etwa auch, wenn es im Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel zu einer Kollision kommt. Dann spricht der Anscheinsbeweis gegen denjenigen, der den Fahrstreifen gewechselt hat. Nach Ansicht des OLG Köln gilt der Anscheinsbeweis auch zu Lasten desjenigen, der die Vorfahrt eines anderen Verkehrsteilnehmers missachtete.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass dann, wenn die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit eines Fahrers feststeht, der Anscheinsbeweis dafürspricht, dass die Alkoholbeeinflussung den Unfall kausal herbeigeführt hat. Zumindest dann, wenn der Unfall aus einer Verkehrslage resultiert, die der Fahrer nüchtern hätte meistern können. Keinen Anscheinsbeweis gibt es aber etwa dafür, dass sich das Fehlen einer Fahrerlaubnis unfallursächlich ausgewirkt hat.

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