Verwirkung von Unterhaltsansprüchen

Isabella Engelmann
21.06.2023

Wann, warum, in welchen Fällen?

Immer öfter hört und liest man von der Verwirkung eines Unterhaltsanspruches. Doch was ist das genau, auf welche Unterhaltsansprüche ist dies anwendbar?

Zunächst einmal ist zu sagen, dass es sich dabei um ein sehr komplexes Thema handelt. Grundsätzlich kann jeder Unterhaltsanspruch verwirken, angefangen beim Trennungsunterhalt über den Ehegattenunterhalt, ja sogar Kindesunterhaltsansprüche können in ganz seltenen Fällen verwirken. Das Hauptthema jedoch und am meisten angewandt gilt dies für Trennungs- und Ehegattenunterhaltsansprüche.

Der häufigste Fall ist wohl der des §15a79 BGB wegen grober Unbilligkeit. Was ist damit gemeint? Ein Unterhaltsanspruch kann verwirken wenn und solange die Durchsetzung des Unterhaltsanspruches grob unbillig ist. Die Verwirkung bedeutet die Versagung des Anspruchs. Daneben kann ein Anspruch auch herabgesetzt oder zeitlich befristet werden. Im §1579 BGB werden 8 Gründe chronologisch aufgezählt:

1. Eine Ehe von kurzer Dauer:
Hier ist im Wesentlichen auf den Einzelfall abzustellen. Entscheidend ist auch nicht die Dauer des Zusammenlebens, sondern die Dauer von der Heirat bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages. Als grobe Richtschnur sind 2 bis 3 Jahre zu nennen, allerdings ist die Ehedauer allein nicht entscheidend, sondern die konkrete Lebenssituation ist zu betrachten.

2. Verfestigte Lebensgemeinschaft:
Dies dürfte einer der häufigsten Gründe für eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches sein. Damit ist zunächst einmal die Beziehung zu einem neuen Partner gemeint.
Doch wann ist diese Beziehung verfestigt? Es gibt hier einige Aspekte zu beachten. Zum Einen gibt es das Zeitmoment. In der Rechtsprechung wird eine verfestigte Lebensgemeinschaft selten unter 2 Jahren bejaht. Allerdings spielt dabei auch eine Rolle, ob die Parteien bereits zusammenleben oder jeder eine eigene Wohnung bewohnt.Bei einem Zusammenleben wird die Zeitdauer kürzer bemessen, da in aller Regel davon ausgegangen wird, dass beim Zusammenziehen die Beziehung bereits verfestigt ist, als wenn die Parteien nicht zusammenleben. Aber auch dies ist einzelfallabhängig, da unter Umständen wirtschaftliche Gründe dafür ausschlaggebend waren. Daher wird auch das Umstandsmoment berücksichtigt. Dieses liegt vor, wenn z.B. das Paar nach außen hin als in einer festen Beziehung lebend auftritt, wie z.B. der neue Partner wird in die Familie integriert, nimmt an allen Familienfesten teil, die Parteien kaufen sich eine Wohnung/ein Haus zusammen, verbringen alle Urlaube, auch mit den Kindern zusammen, usw. Es gibt hier viele Gründe, die für eine verfestigte Lebensgemeinschaft sprechen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Präsentation der Partnerschaft in den Social media-Kanälen. Auch eine Verlobung dürfte sicherlich eine verfestigte Lebensgemeinschaft bestätigen.

3. Verbrechen oder schweres Vergehen des Berechtigten gegen den Verpflichteten: 
Voraussetzungen dieser Straftaten sind Schuldfähigkeit des Berechtigten. Auch ein Versuch kann schon ausreichend sein. Ein besonderer Stellenwert kommt hier dem Prozessbetrug zu, wenn z.B. der Berechtigte behauptet keine Einnahmen zu erzielen, tatsächlich aber nachweisbar Einnahmen erzielt, die den Unterhaltsanspruch verringern oder wegfallen lassen würden.

4. Mutwillige Herbeiführung der Bedürftigkeit: 
Hier ist als einfaches Beispiel zu nennen, dass der Berechtigte eine gute Anstellung grundlos gekündigt hat, keinen Antrag auf ALG I gestellt hat usw.

5. Der Berechtigte hat sich über schwerwiegende Vermögensinteressen des Pflichtigen mutwillig hinweggesetzt:
Hiermit ist im Wesentlichen gemeint, dass der Bedürftige durch sein Verhalten das Einkommen des Verpflichteten mindert, z.B. in dem er durch sein Verhalten die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Verpflichteten hervorruft usw. Auch im selbständigen Bereich gibt es unzählige Beispiele für geschäftsschädigendes Verhalten.

6. Der Berechtigte hat längere Zeit vor der Trennung seine Pflicht zum Familienunterhalt beizutragen gröblich verletzt:
Hier ist als Beispiel zu nennen, dass der Berechtigte über längere Zeit den Haushalt nicht mehr geführt hat, die Kinder vernachlässigt hat usw. Über längere Zeit wird ungefähr mit mindestens 1 Jahr bezeichnet. Dieser Grund findet in der Praxis nur noch wenig Anwendung.

7. Schwerwiegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten:
Damit sind insbesondere Verstöße gegen die eheliche Treuepflicht und Solidarität gemeint. Auch hier muss natürlich der Einzelfall betrachtet werden. Handelt es sich zum Beispiel um einen einmaligen Ehebruch oder hat der unterhaltsberechtigte Partner bereits seit Jahren heimlich eine Beziehung und zerstört damit eine funktionierende Ehe.

8. Als letzter Punkt wird jeder andere Grund angeführt, der ebenso schwer wiegt, wie die Gründe Nr. 1 bis Nr. 7. Es handelt sich hierbei um einen Auffangtatbestand. Er erfasst Fälle der objektiven Unzumutbarkeit der Unterhaltsleistung, wenn dieser Fall nicht unter Nr. 1 bis 7 fällt.

Unterhaltsansprüche können auch verwirken, wenn sie über ein Jahr nicht mehr geltend gemacht wurden, obwohl der Berechtigte dazu in der Lage gewesen wäre und der Pflichtige sich demnach darauf verlassen hat, dass sich die Angelegenheit damit erledigt hat.

Neben den Fällen des §1579 BGB gibt es noch den Fall des §1603: Der Unterhaltspflichtige muss leistungsfähig sein. Die eigenen Bedürfnisse des Unterhaltspflichtigen müssen gewahrt werden.

Ein weiterer Fall der Herabsetzung und zeitlichen Begrenzung ist in §1611 BGB geregelt. Der Unterhaltsanspruch kann herabgesetzt oder befristet werden, wenn der Berechtigte den Pflichtigen durch sein Verhalten als „unwürdig“ darstellt. Dies kann in Form von übler Nachrede der Fall sein oder auch durch eine Körperverletzung, z.B. gegenüber einer nahestehenden Person oder auch dem Pflichtigen selbst.

Es gibt zahlreiche Gerichtsentscheidungen des Bundesgerichtshofes, der Oberlandesgerichte und natürlich auch der Amtsgerichte, die überdeutlich zeigen, dass es bei der Verwirkung, Herabsetzung und zeitlichen Befristung von Unterhaltsansprüchen immer auch auf den Einzelfall ankommt. Selten liegt ganz klar ein offensichtlicher Verwirkungstatbestand vor, außer z.B. bei einer Eheschließung, bei der man sicherlich nicht viele Argumente für eine Verwirkung auflisten muss.

In fast allen anderen Fällen muss eine Verwirkung gut begründet werden und bedarf der Unterstützung durch einen Rechtsanwalt.

 

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